„Was fällt dir eigentlich ein zu der Diskussion um Wortbruch und Lüge, Betrug und all das, was jetzt dauernd durch die Presse geht?“, fragte Trixi.

„Ich muss öfter als sonst schmunzeln.“, antwortete Harry. „Man könnte nach dem Gips rufen, um das Wort einzugipsen und dann musst du einige Wochen warten – und es wächst wieder zusammen! Dann machst du den Gips ab und – alles wieder ganz!“

„Nein, jetzt mal im Ernst“, meinte Trixi. „Ist das nicht ein seltsames Bild, was da bemüht wird?“

„Ich finde auch. Das klingt nach Gewalt, nach kaputt – und legt zumindest nahe, dass da was Schlimmes passiert.“ Harry dachte nach: „Aber wie ist es denn im privaten Bereich? Du sagst: Ich werde nie zu spät kommen – und eines Tages kommst du in eine Situation, wo was Wichtiges passiert, so dass für dich das ‚zu spät kommen’ das kleinere Übel ist – also kommst du zu spät. Hast dein Wort gebrochen – aber es war richtig, das zu tun.“

„Du meinst also, dass es richtig sein kann, sich nicht an seine eigenen Ansagen zu halten, weil was anderes Wichtiger geworden ist?“, Trixi wollte es genau wissen.

„Genau“, meinte Harry. „Ich glaube absolute Aussagen können nur am Leben scheitern. Ich werde dich ewig lieben; immer an Dich denken; dich nie verletzen … – alles Quatsch!“

„Du meinst, dass ich immer das tun muss, was ich richtig finde, auch wenn ich vorher gedacht habe, es könnte mich nichts dazu bringen, dass ich nicht zu meiner einmal gesagten Aussage bleibe?“, fragte Trixi.

„Stimmt!“ Harry nickte: „Sonst bist du irgendwann weggekommen, aber der Rest von dir hält sich an alles, was du jemals gesagt hast – und das wird niemand ernsthaft wollen!“

ruft der kleine Kerl da und wir hatten beim Joggen kaum noch die Puste, um zu lachen“, berichtete Harry schmunzelnd.

„Na, da wird der Kleine sich noch oft wundern, bis der groß ist“, meinte Trixi. „Bis der gelernt hat, dass es mehr als eine Begründung für das Tun von jemandem gibt – und vor allem, dass die eigene Idee über die Motive Anderer lange nicht die zutreffende Idee sein muss.“

„Eher im Gegenteil“, meinte Harry. „Viele Erwachsene haben keine Idee davon, dass ihre Vermutungen über Motive von anderen oft nichts anderes sind als Fantasien.“

„Wie Fantasien?“, wollte Trixi wissen. „Nun ja, Fantasien sind Vermutungen, die sich nicht direkt wahrnehmen lassen. Du kannst eben ein Motiv nicht sehen, hören, riechen, schmecken oder tasten“, erklärte Harry.

„Ja, aber – wie kommt es dann dazu, dass jemand über einen anderen sagen kann, er habe das und das getan, um einem anderen eins auszuwischen?“, fragte Trixi nach.

„Ich meine, Du kannst das Tun beobachten, aber nicht das Motiv. Also macht derjenige, der was tut auf den Beobachter den Eindruck, er wolle jemandem eins auswischen. Aber um das vermuten zu können, muss der Beobachter das Gefühl oder das Aussehen oder so kennen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass er – wenn er selber jemandem eins auswischen wollte – sich genau so verhalten würde!“ Harry war in seinem Element.

„Du meinst“, fragte Trixi nachdenklich, „eigentlich sagt so eine Fantasie garnicht so viel aus über den, der da beschrieben wird, sondern mehr über den, der beschreibt?“ „Genau!“, sagte Harry, „Fantasie eben von dem, der sie hat!“

Aber hallo, dachte ich. Ich sollte vielleicht doch gut hinschauen, wenn ich bei Anderen Motive vermute, die mir völlig klar sind. Vielleicht kann ich so über mich genauso lernen, wie Harry und Trixi von dem kleinen Kerl, der überhaupt nicht auf die Idee gekommen ist, joggen könnte Spaß machen (statt Fahrrad zu fahren!).

„Jetzt reden endlich wieder viele Leute darüber, dass Werte wichtig sind und dass sie wollen, dass sie sich und andere an Werten orientieren sollen. Sie finden es richtig, dass dies auch von außen eingefordert wird“, berichtete Trixi.

„Finde ich gut“, meinte Harry. „Dabei ist mir wichtig, dass man genau das formuliert, was man auch sagen will.“

„Versteh‘ ich nicht“, sagte Trixi.

„Nun ja, z.B. sagt einer, er sei für Alles und Alle offen“, erklärte Harry. „Dann will er wahrscheinlich sagen, dass er keine Vorurteile hat und ein offener Mensch ist, der auch neue Erfahrungen, Eindrücke und Meinungen zulassen kann, wenn sie ihm einleuchten. Gesagt hat er aber, dass mit ihm alles möglich ist! Dass er sich keinen Werten verpflichtet fühlt, sondern eben für Alles und Alle offen ist.“

„Ach so“, meinte Trixi. „Du meinst, dass so jemand verwechselt, dass Offenheit kein Wert ist, sondern eher so was wie eine Haltung, sich etwas auf diese Weise anzuschauen? Wobei das am ehesten jemand kann, der klare Werte für sich hat, um zu bewerten, was er sich auf diese Weise ansieht.“

„Genau!“, sagte Harry. „Es existieren eine Menge Missverständnisse über Werte und was sie bedeuten. Ich finde es gut, dass viele Leute jetzt wieder anfangen, darüber nach zu denken und zu sprechen und sich so mit Werten beschäftigen.“

„Ich glaube“, nickte Trixi, „dass dann auch wieder öfter Ansprüche formuliert werden, die sich auf Werte berufen. Darauf freue ich mich jetzt schon!“

sagte Harry und machte einen sehr, sehr unzufriedenen Eindruck. „In welcher Beziehung?“, fragte Trixi neugierig. „Ach, Du weißt schon, ich bin jetzt seit fast 3 Jahren mit meiner Freundin zusammen, aber zwischendurch … es ist manchmal nicht zum aushalten. Dauernd hat sie was anderes, andere Interessen, andere Dinge, die sie gut findet. – Eigentlich passen wir gar nicht zusammen!“

„Du meinst, Du hast jetzt nach fast 3 Jahren gemerkt, dass Ihr eigentlich nicht zusammen passt, weil sie sich für Dinge interessiert, die Dich nicht interessieren und andere gut findet, denen Du nichts abgewinnen kannst?“ Trixi war skeptisch. „Was genau ist es denn, was Du nicht zum aushalten findest?“, fragte sie.

„Weißt Du, dauernd komme ich mir dann so vor, als wenn ich keine Rolle spielte, als wenn ich nicht wichtig wäre! Wenn sie denn wenigstens mal erzählen würde, was interessant an den Dingen sein soll oder so. Aber nichts da, sie sagt ja auch nichts.“ – Jetzt war Harry in Fahrt.

„Ach so“, meinte Trixi, „Du hast also keinen Ärger in der Beziehung, sondern Du ärgerst Dich, weil sie sich nicht oft genug auf Dich bezieht…“.

Harry war offensichtlich irritiert. –

„Und wann genau bezieht sie sich nicht genügend auf Dich?“, wollte Trixi wissen. „Na, bei allen Dingen von denen sie weiß, dass die mich nicht so interessieren oder von denen ich nichts halte!“ trumpfte Harry auf … um dann nachdenklich:„Sonst geht’s mir ja gut mit ihr!“ zu murmeln.

„Was ist denn jetzt plötzlich?“, wollte Trixi wissen.

„Ach, weißt Du, irgendwie klingt das jetzt gar nicht mehr so schlimm, dass sie sich nicht bei den Dingen auf mich bezieht, wo sie weiß, dass sie mich eigentlich nicht interessieren. Vorhin habe ich gedacht, wie hätten ein Beziehungsproblem, jetzt kommt es mir eher so vor, als wenn sie mich mit diesen Dingen einfach nicht langweilen will. Eigentlich lieb von ihr.“

Jetzt war es an Trixi nachdenklich zu werden. „Schon ein Ding, wie wir Wörter benutzen und damit festlegen, wie wir uns in Situationen und im Verhältnis zu anderen sehen und fühlen.“

Genau!, dachte ich. Oft ist es richtiger, das „tun“ zu beschreiben als den Zustand. Wenn aus „sich auf jemanden beziehen“ eine „Beziehung“ wird, klingt das plötzlich starr und unbeweglich.

Manchmal denken wir über uns nach, als wenn wir Zustände wären oder hätten. Schade eigentlich! Dabei können wir uns in jedem Moment entscheiden, wie wir uns verhalten und was wir tun. Das werde ich nutzen!

In meinem Lieblingscafé höre ich wieder einmal Trixi und Harry zu. Trixi erzählt ganz aufgeregt: „Da will die Frau durch die Türe gehen und sieht nicht, dass es so eine automatische Türe für Rollstuhlfahrer ist. Also – die Frau stemmt sich gegen den einen Türflügel, dass ich denke, die will das Haus verschieben. – Nichts passiert. – Dann plötzlich: gehen beide Türflügel auf. Butterweich und ohne jede Kraftanstrengung. Die Frau raus .. nach ein paar Schritten schaut sie zurück und sieht: Die Türe steht noch offen! Sie also zurück und versucht die Türe zu schließen. Plötzlich wieder – wie von Geisterhand – schließen sich die beiden Türflügel. – Mann, hat die geguckt!“

 

„Und du hast deinen Spaß gehabt“, meinte Harry kopfschüttelnd. „Kannst du dir vorstellen, wie doof sich das angefühlt haben muss? Du tust und machst – und für das, was passiert, ist es völlig egal, was du machst und tust. Das ist bestimmt kein schönes Gefühl!“

 

„Schon – ich hab eigentlich mehr darüber nachgedacht, dass ich das kenne.“

Harry fragt nach: “Du kennst das Gefühl mit einer automatischen Tür zu kämpfen?“

 

„Quatsch“, meinte Trixi, „aber ich kenne, dass ich denke, ich müsste etwas machen, damit z.B. die Türe zugeht. Ich müsste nur heftiger drücken, damit sie aufgeht. Ich wäre es gewesen, wenn sich plötzlich beide Flügel der Türe öffnen. – Aber eben das Ganze ohne Tür.“

 

Harry schaute jetzt völlig verdattert Trixi an. „Wie … das alles ohne Türe?“

 

„Ja kennst Du das denn nicht, dass Du Dich verantwortlich fühlst für Verhaltensweisen von anderen, für die Du gar nichts kannst? Dass Du Dich schuldig fühlst für Ergebnisse, die andere verursacht haben? –Das ist das Gleiche, wie mit der automatischen Türe!“

 

„Du meinst“, fragte Harry zurück, „Verantwortung, schlechtes Gewissen, Ansprüche und Schuldgefühle – die kann es nur dann geben, wenn man selbst der Grund ist? Wenn man selbst die Situation bestimmen kann und sie nicht von anderen bestimmt wird?“

 

„Genau!“ Trixi war jetzt ganz lebendig und fuchtelte mit den Armen: „Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen sich-verantwortlich-fühlen und damit, die Situation, die Beziehung, das Verhalten bestimmen zu können. Je mehr ich bestimmen kann, desto verantwortlicher bin ich!“

 

Top, dachte ich. Das habe ich jetzt begriffen. Da soll jetzt ruhig mal wieder jemand kommen und meinen, ich müsse Verantwortung übernehmen, wenn ich nicht gleichzeitig die Kompetenz bekomme, diese Verantwortung auch auszufüllen. – Das passiert mir so leicht nicht mehr!