„Hast du das schon mal erlebt, dass du dich anstrengst für jemand anderen, der – nach deiner Ansicht – alleine nur schlecht klar kommt, und dann plötzlich tut der Andere so, als wenn das doch das Selbstverständlichste der Welt wäre?“, fragte Harry.

„Klar! Und dann beschwert sich der Andere irgendwann, dass du dich nicht mehr angestrengt hast, weil du ja schließlich immer schon – blablabla!“ erwiderte Trixi. „Und es ist gar nicht so einfach, aus dieser Nummer wieder heraus zu kommen!“

„Ich versteh’ das nicht.“ Harry schüttelte den Kopf. „Hier geht es doch nicht um Kinder und Adoptionen. Hier geht es doch um Unterstützung aus freien Stücken. Mir ist es ein Rätsel, wie jemand daraus einen Anspruch ableitet und den dann auch noch durchsetzen will. Und zwar gegen mein erklärtes Interesse. So nach dem Motto ‚Bisher hast du freiwillig, aber jetzt bestehe ich darauf!’.“

„Ja, ist schon verrückt.“ Trixi lächelte und meinte: „Du kannst dann gar nicht anders als zuerst mal dafür sorgen, dass wieder eine gemeinsame Einschätzung der Situation entsteht. Wenn du die Einschätzung des Anderen nicht übernehmen willst, musst du deine dagegen setzen! Und wenn der Andere formal argumentiert, dann musst du halt die Formalien überprüfen und – wenn du kannst – deine Sicht einbringen und im Zweifelsfall auch durchsetzen.“

„Das ist so dämlich!“ , beschwerte sich Harry. „Da kommt doch heraus, dass Kampf angesagt ist. Eine andere Möglichkeit gibt es doch gar nicht, wenn ich ‚dagegen setze’. Und das macht letztlich beide Seiten zu Verlierern: Der, der bisher gegeben hat, fragt sich, wie blöd er gewesen sein muss, selber auf etwas zu verzichten und dem Anderen gegeben zu haben – und bekommt im Nachhinein noch ein schlechtes Gefühl. Der, der bisher genommen hat, wird nichts mehr bekommen – egal, wie nötig er es auch hat – und verliert eine Ressource für schwere Zeiten.“

„Da bleibt nur noch die Frage nach der Alternative – wenn es denn eine Alternative gibt“, meinte Trixi. „Letztlich kannst du nur freundlich bleiben, wenn du klar hast, dass du dein Interesse durchsetzen kannst und aus einer freiwilligen Aktion jetzt nicht plötzlich ein ‚muss’ wird. Das bedeutet, du musst abklären, wie deine Position ist, um dich dann auf dieser Basis bewegen zu können. Dann kannst du auch wieder dich weiter weg bewegen von dieser Basis, weil du ja weißt, dass du das tust, weil du das willst – und nicht, weil du das musst!“

„Na, dass alleine dabei so viel Widerwillen und Ärger entsteht, dass die Wahrscheinlichkeit für freiwillige Bewegung gegen Null geht, ist doch auch klar, oder?“ Harry wollte es genau wissen.

„Natürlich! Aber du musst einfach akzeptieren, dass jeder sich so verhält, wie er das richtig findet – und dann muss er dafür auch die Verantwortung übernehmen!“ Trixi war sich sicher. „Gemeinsamkeiten brauchen eine Basis, im Verhalten zu einander, in den Bewertungen von Handlungen und Haltungen und in der gegenseitigen Wertschätzung. Formalien und Ansprüche eignen sich nicht als Basis. Damit fällt man eher aus dem Leben des Anderen heraus.“

„Es ist manchmal gefühlsmäßig schwer, Anderen beim ‚freien Fall’ zu zu sehen.“ Harry seufzte. „Aber jeder füllt sein Leben auf seine Art und lebt seine Perspektiven.“

„Auch das gehört zur Selbstbestimmung des Menschen.“ Trixi zuckte mit den Achseln. „Und wenn du diese richtig findest, musst du auch mit den Schattenseiten klar kommen – und das ist die Verantwortung für das eigene Tun und Lassen!“

„Heute las ich: ‚Frau grundlos verprügelt’. Unglaublich, oder?“ Trixi schüttelte den Kopf.

„Und seitdem denkst du über Gründe nach, die das Prügeln rechtfertigen?“, lachte Harry. „Da weiß doch bestimmt der Schreiber nicht, was er damit anrichtet!“

„Du meinst“, fragte Trixi, „weil diese Überschrift nahe legt, Prügeln sei in Ordnung, wenn es einen Grund gibt?“

„Genau!“, erwiderte Harry. „Mit unserer Sprache beschreiben wir die Welt, wie wir sie erleben. Diese beschriebene Welt benutzen wir, um uns neue Erfahrungen und Erlebnisse zu erklären und uns in ihr zu bewegen. Und wenn man dabei nicht aufpasst – dann ist Prügeln plötzlich ‚in Ordnung’ und normal, Hauptsache es gibt einen Grund.“

„Na da passe ich ab jetzt aber gut auf, wie ich meine Welt beschreibe“, lachte Trixi.

„Kennst du das auch, da diskutierst du und diskutierst und hast die guten Argumente – und irgendwann sagt dein Gegenüber: ‚Aber trotzdem!’ und du guckst dumm aus der Wäsche?“, wollte Trixi wissen.

„Genau! Manchmal sagt das Gegenüber auch so Sachen wie ‚Das ist doch meine Sache!’ oder ‚Das entscheide ich und nicht du!’ oder ‚Das gehört mir und des-wegen ist es meine Entscheidung!’ und dann stehst du da mit deiner inhaltlichen Diskussion und deinen guten Argumenten!“, grinste Harry. „Dann hast du wohl auf der falschen Ebene diskutiert und nicht gemerkt, worum es eigentlich ging!“

„Was meinst du denn damit?“, wollte Trixi wissen. „Worum ging es denn, wenn nicht darum, dass die besten Argumente entscheiden?“

„Ich glaube, wenn jemand so diskutiert und solche Sätze sagt, dann beschreibt er die Beziehung, die er zu dir hat oder haben will – und er will sich bestimmt nicht inhaltlich mit dir auseinander setzen!“, meinte Harry. „Da wird die Beziehungsebene definiert und nicht gleichberechtigt um die inhaltlich beste Lösung gerungen!“

„Du meinst, mein Gegenüber gibt mir so zu verstehen, dass er mich als Gesprächspartner nicht gleichberechtigt akzeptiert, sondern dass er macht, was er möchte, meine Anregungen und Argumente dann aufgreift, wenn er will und nicht, weil sie gut sind?“, Trixi fragte ein wenig ungläubig. „Aber das wäre doch ziemlich dumm, sich so zu verhalten, finde ich!“

„Finde ich auch – aber das machen diejenigen ja nicht aus Spaß, sondern weil sie das für sich brauchen.“ Harry dachte nach. „Wenn jemand seinem Gegenüber so deutlich machen muss, dass es egal ist, was er sagt, weil es ausschließlich auf ihn ankommt und das unabhängig von allen Inhalten, dann sagt er auch: ‚Ich bin ein schwaches Kerlchen oder Frauchen und brauche alle Wichtigkeit, die ich mir selber besorgen kann, damit ich wenigstens ein wenig das Gefühl habe, wichtig zu sein und dass es auf mich ankommt. Dabei kann ich keine Rücksichten auf Inhalte und Argumente nehmen.“

„Ja und was mache ich dann mit so jemanden?“, fragte Trixi. „Mit dem kann ich doch gar nicht vernünftig sprechen, geschweige denn argumentieren.“

„Stimmt“, sagte Harry. „Dann lass es auch und probier es auch gar nicht erst, sondern kümmere dich um die Beschreibung eurer Beziehung, damit ihr euch da einig seid. Wenn dir jemand sagt, dass ihn deine inhaltlichen Aussagen nicht interessieren, gibt es keinen Grund, dass du inhaltlich diskutierst. Wenn dir jemand sagt, dass es ihm auf dich nicht ankommt, solltest du das hören und damit umgehen, wie du das richtig findest.“

„Ich finde es verletzend, wenn mir jemand deutlich macht, dass es nicht auf mich ankommt!“ Trixi war sich sicher.

„Dann kannst du das deutlich machen und dafür sorgen, dass diese Verletzungen aufhören“, meinte Harry. „Manchmal weiß der andere aber auch nicht, was er da macht, und dann ist es gut, wenn er überhaupt erstmal mitbekommt, wie die Wirkung auf dich ist!“

„Ich verstehe!“grinste Trixi. „Auf in den Kampf!“

„ Da werde ich erwachsen und meinte, meine Familiengeschichten im Griff zu haben – da passiert irgendwas und ich verhalte mich wieder wie das Kind, das ich mal war.“ Trixi schüttelte den Kopf.

Harry schmunzelte: „Klar kenne ich das – das wird jeder kennen!“

„Wie meinst du das?“, fragte Trixi.

„Weißt du“, Harry holte aus, „Wir alle haben in unseren Familien oder wo immer wir aufgewachsen sind in unserer Kindheit eine Menge Strategien und Verhaltensweisen gelernt und entwickelt, die uns geholfen haben, unbefriedigende Situationen irgendwie so zu drehen, dass wir trotzdem zufrieden sein konnten, uns geliebt gefühlt haben, wichtig genommen werden und so. Diese Verhaltensweisen, Strategien und so sind uns normalerweise nicht bewusst. Wir haben uns ja nicht vorgenommen, etwas zu entwickeln, sondern haben das einfach gemacht, weil es nötig war. Und heute nutzen wir viele dieser Verhaltensweisen und Verarbeitungsformen noch immer, aber genauso, wie wir uns fortbewegen – unbewusst und automatisch.“

„Du meinst, dass da eingeschliffene Verhalten und Verarbeitungen wirken, die dann plötzlich eben auch wieder die Erinnerung an früher aktivieren?“, fragte Trixi.

„Genau!“, meinte Harry. „Aber als Erwachsene können wir uns entscheiden, ob wir die Verhaltensweisen und Strategien so wollen oder sie verändern möchten. Das ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich.“

„Das gehe ich mal an!“, sagte Trixi.

„Kennst du das auch? Da arbeitest du, damit du danach Zeit für was Schönes hast – und dann bist du hinterher zu kaputt, um was Schönes zu machen?“, fragte Trixi.

„Kenne ich von früher!“, erwiderte Harry. „Ich habe viele Dinge so organisiert, dass ich zuerst mal verzichtet habe; schöne Dinge nach hinten geschoben habe, um dann später mit richtig Zeit und Lust dann zu geniessen.“

„Ja und dann?“, wollte Trixi wissen.

„Dann,“ schmunzelte Harry, „dann hat sich in den meisten Fällen herausgestellt, dass „aufschieben“ gar nicht geht. Oft ist das, was jetzt gerade ‚dran’ ist, gleich nicht mehr wichtig. Andere Dinge werden wichtiger – und die ganze Anstrengung war umsonst und hat eben nicht dazu geführt, dass ich mit mehr Genuß dann Zeit hatte, meinen Plan umzusetzen.“

„Ist schon komisch, dass wir das so gelernt haben.“ Trixi war nachdenklich. „Da hat man uns beigebracht: ‚Alles zu seiner Zeit’ – und ich habe verstanden: ‚Alles Schöne nach hinten, wenn es nicht mehr stört.’ Verrückt!“

„Richtig schlimm muss es sein, wenn Leute ihr ganzes Leben darauf ausrichten, es sich im Alter gutgehen zu lassen – und wenn sie alt sind, haben sich ihre Möglichkeiten verändert und eingeschränkt.“ Harry schüttelte den Kopf. „Man lebt immer gerade jetzt – und über die Zukunft haben wir nur unsere Ideen.“

Trixi schmunzelte: „Was du jetzt willst, tue es – wenn immer möglich – jetzt! Das wird mein Motto!“