„Ich habe dir doch vor Wochen schon gesagt, dass du … – und du hast es bis heute nicht gemacht!“ „Darüber haben wir doch schon vor Wochen gesprochen… .“ „Schon damals habe ich dir gesagt, … .“

So oder ähnlich klingen die Reklamationen, die man in den verschiedenen Lebensbereichen immer wieder zu hören bekommt. Interessant daran ist – so finde ich – dass selbst der größte Ignorant nicht damit rechnet, dass solche Reklamationen irgend jemanden dazu motivieren werden, etwas zu tun, was er bisher nicht getan hat oder gar sich zu bemühen, demnächst Reklamationen zu vermeiden und deshalb das gewünschte Verhalten (vorsorglichen Gehorsam!) zu zeigen.

Im Gegenteil! Man wird eher mit Reaktionen rechnen müssen wie:
„Geht es dir jetzt schlecht, dass sich schon wieder niemand darum kümmert, was du gesagt hast?“ – „Muss ganz schön einsam sein, wenn man immer schon alles gesagt hat und sich niemand dafür interessiert.“ – „Die Rolle hat bei mir schon mein Vater – und dem kannst du nicht das Wasser reichen!“ – „Schon mein ganzes Leben versucht man ohne Erfolg mir bei zu bringen, dass ich nicht in Ordnung bin. Wie kommst du darauf, dass du dabei Erfolg haben könntest?“ Oder ähnliches.

Was also sollen solche Formulierungen? Was bringen sie für denjenigen, der sie sagt?

Zuerst lässt sich festhalten, dass das Charme-Potential der oben zitierten Formulierungen auch für die absonderliche Frau und den absonderlichen Mann, der sie zu hören bekommt, gegen Null gehen.

Wenn überhaupt gibt es Charme-Potential für den, der diese Sprüche raushaut.

Der kann sich gut fühlen! Er oder sie kann in der vollen Gewissheit auftrumpfen, dass er und sie die Intelligenteren, die Vorausschauenderen, die Überlegteren bzw. die Überle-genderen waren und sind und damals schon Recht hatten …?! Und wenn er oder sie nicht Recht hatten, so haben sie doch jetzt Grund für eine Reklamation. Dann muss es eben ausreichen, wenn der Andere sich falsch fühlt, gemassregelt, gerügt, erwischt – halt schlecht!

Ja – und wenn der Andere meint, dass er selbst entscheidet, was er tut und was er richtig oder falsch findet? Wenn der Andere sich nicht beeindrucken lässt von Sprüchen, sondern Wert darauf legt, dass man ihn überzeugt mit Argumenten, dass er bei der Setzung von Prioritäten mit entscheidet und überzeugt sein will, bevor er etwas tut? Wenn er darauf besteht, dass die Bereiche, die er verantwortet, auch von ihm strukturiert und entschieden werden – und keine Reklamation hieran etwas ändert?

Dann hat sich der Sprücheklopfer ein Ei gelegt, er hat ein Selbsttor geschossen! Seine Autorität hat Schaden genommen, seine Seriösität hat gelitten und es ist wohl ziemlich einsam um ihn oder sie herum.

Der Reklamateur hat sich geoutet als jemand, der nicht mit den Menschen um sich herum zu Übereinkünften kommen will, der nicht auf Konsens ausgerichtet ist, sondern als jemand, der sich und seine Interessen, seine Meinung, seinen Anspruch durchsetzen will und dazu auch auf die zitierten Formulierungen zurück greift. Er wird zu Recht angesehen als jemand, der versucht Andere zu instrumentalisieren, für sich und seine Ziele zu vereinnahmen – und dies, ohne dass ihm oder ihr die Anderen wichtig wären. „Hauptsache, sie tun, was ich ihnen sage!“

Für Lebensbereiche, in denen ein WIR wichtig ist – und das ist neben dem Privatleben auch in vielen beruflichen Situationen so – ist Reklamation kontraproduktiv und demotivierend. Sprücheklopfer haben allenfalls kurzfristig Erfolg, mittel- und langfristig laufen ihnen die guten Leute und die guten Kunden weg.

Eine Reklamation-Hotline schafft keine zufriedenen Kunden, sondern Reklamationen. Ein Reklamateur schafft in seinem Umfeld kein Klima für konstruktive Kooperation, sondern ein Reklamations-Klima.

Erfolgreiche Kommunikation geschieht da, wo ich es schaffe, dass der Andere mich mit dem, was ich sage, versteht und wichtig nimmt. Danach kann man dann mal sehen, was passiert!

„Kennst du das: Jemand erklärt, er habe einen Vertrauensvorschuss gegeben und der sei nun aufgebraucht?“, fragte Harry und schaute Trixi an.

„Klar, und dann tut derjenige dann auch noch so, als wenn Andere Schuld wären, die Bösen!“, kicherte Trixi. „Ist schon ganz schön komisch!“

„Ist irgendwie so, als würde es um eine Investition gehen und nicht um Menschen.“, meinte Harry. „Mir kommt das Vertrauensvorschuß-Gerede aggressiv vor. So wie: ‚Jetzt habe ich kein Vertrauen mehr in dich, das hast du jetzt davon!’“

Trixi schmunzelte: „Ist ja so ähnlich wie die Geschichte von dem Kind, dass sich selbst ganz doll weh tut und dann zur Mutter sagt: Siehst du, das hast du jetzt davon!“

Harry nickte: „Dabei ist doch ganz klar, dass ich entscheide, ob ich Vertrauen habe oder nicht. Es gibt viele Menschen, die sind persönlich so schwach, dass sie nur wenig Vertrauen haben können. Andere eher starke Persönlichkeiten können dagegen mit Vertrauen verschwenderisch umgehen. Aber das sagt doch alles nur was aus über den, der solche Sätze sagt und nicht über denjenigen, der den Vertrauensvorschuss nicht eingelöst hat.“

„Du meinst,“ fragte Trixi, „wer mit dem Finger auf jemand anderen zeigt, der hat nicht gesehen, dass er gleich mit drei Finger auf sich zeigt?“

„Genau!“ Harry nickte. „Vertrauen kann nur schenken, wer es hat – und wer sich gut kennt, hat eben mehr davon als Andere!“

„Hast du mal diese Untersuchung gelesen über die unterschiedlichen Formen, die Menschen haben, wenn sie sich die Welt erklären und wie sie darauf reagieren?“, fragte Harry.

„Hast du nicht davon mal erzählt?“, fragte Trixi zurück. „Ich meine, es wäre um Leute gegangen am Rand von einem Erdbebengebiet und im Zentrum der Zerstörung. Aber genauer weiß ich nicht mehr…“

„Das war so,“ Harry holte aus. „Man hat die Reaktion auf das Beben untersucht und dabei gefunden, dass die Menschen, die alles verloren hatten und noch dabei waren, um das nackte Überleben zu kämpfen, glücklich waren, dass sie überlebt hatten. Dagegen haben einzelne Menschen am Rand des Erdbebengebietes sich über Risse in Hausmauern und Schäden an Häusern so aufgeregt, dass sie Herzanfälle bekommen haben.“

„Und was sagt uns das?“, wollte Trixi wissen.

„Das sagt uns, dass es für die Menschen, die am Rande des Erdbebengebietes lebten nicht die normale Form war, sich in die Situation der Menschen hinein zu versetzen, die direkt im Zentrum des Erdbebengebietes das Erdbeben erlebt haben.“ Harry dachte nach. „Wenn die sich in die Situation derer, die gerade noch mit dem Leben davon gekommen waren, hinein versetzt hätten, hätte sich auch der Schaden am eigenen Haus relativiert und wäre dann nicht mehr als so schlimm erlebt worden.“

„Das verstehe ich gut!“, meinte Trixi. „Du meinst, dass wenn man sich in die Situation von denen hineinversetzt, denen es schlechter oder einfach nur anders geht, dann relativiert sich die eigene Situation und man bekommt eine bessere Einschätzung von dem, was einen selber betrifft, aber eben auch von dem, was andere betrifft?“

„Genau! Für viele Menschen ist es nicht so einfach, sich mit anderen Menschen zu identifizieren, die in einer anderen Situation sind.“ Harry engagierte sich. „Es ist offensichtlich leichter, die eigene Situation als die einzige Beschreibung, die Geltung hat, zu nehmen und alles andere dieser Beschreibung der eigenen Situation unter zu ordnen. Leichter auf jeden Fall als sich in die Situation anderer hinein zu versetzen und eine Idee, einen Gedanken und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es den Anderen wohl gehen mag, was ihnen jetzt wohl wichtig ist und was ich von mir erwarte als angemessene Reaktion darauf!“

„Klar, dafür müsstest du dich immer in die Situation desjenigen hinein versetzen, um den es geht. Das Hinein-versetzen ist dann die Basis für deine Beschreibung der Situation. Deine eigene Sicht der Dinge ist eben nicht die einzig richtige Sicht.“ Trixi nickte.

„Und dafür haben wir bei uns eine Menge Bedarf, finde ich.“ Harry schaute Trixi an. „Wenn Menschen, die bei uns sich um Verantwortung für andere beworben haben und dafür gewählt worden sind, sich nicht in die Situation hineinversetzen können oder wollen von Menschen, die sie gewählt haben – oder zumindest dazugehören zum Wahlvolk -, sondern davon sprechen, dass für ein System (Renten, Krankenversicherung, Bildung, oder was auch immer) es wichtig sei, bla bla bla. Oder wenn diese Menschen eine Realität beschreiben, in der 30% der Bevölkerung überhaupt nicht leben und diese für die Realität nehmen, die sie weiter gestalten wollen. Oder wenn diese Menschen sich um die Sicherheit und Stabilität Chinas kümmern und vergessen, sich in die Situation der Tibeter hinein zu versetzen, die nun politisch verfolgt und abgeurteilt worden sind. Oder wenn diese Menschen den Druck auf Generäle in Birma erhöhen, während einige Kilometer weiter Menschen verhungern, verdursten und an Seuchen sterben – und sie völlig vergessen, dass es kein politisches Spiel ist, sondern Menschen sterben, weil sie die Identifikation nicht hinbekommen.“

„Hör auf, hör auf! Ich habe dich ja verstanden!“ Trixi schaute betroffen. „Meinst du wirklich, dass alle diese Menschen sich wirklich nicht in andere hinein versetzen können und nicht mit darunter leiden, was da – und anderswo – passiert?“

„Ich weiß es auch nicht, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass wir es auf allen Ebenen vor allem noch mit Technokraten zu tun haben, die nicht menschliches mitfühlen und sich hinein versetzen, sondern Passungen zu Systemen, Einhaltung von Spielregeln und solche Dinge als Maxime für ihr Handeln haben.“ Harry zuckte die Achseln. „Und da funktionieren dann auch die Mechanismen und die Organisationen dann nicht mehr. Die sind geschaffen worden, damit der Schutz und die Unversehrtheit des Einzelnen auf dieser Erde geschützt wird, damit Wohlergehen sichergestellt wird. Dafür braucht es aber Menschen, die Verantwortung übernehmen und in der Lage sind, sich in die Situation der vielen Menschen hinein zu versetzen und mit zu leiden, wenn es da was zu leiden gibt. Daraus braucht es die Motivation für Veränderung, nicht aus Überlegungen zur Systemkonformität!“

„Das würde heißen, dass an Menschen, die Verantwortung für andere übernehmen wollen, auch höhere Ansprüche gestellt werden müssen in Bezug auf Mitmenschlichkeit, auf mitfühlen, sich identifizieren können, auf Gefühlsreichtum, auf Bewusstheit über sich selbst.“ Trixi schaute Harry fragend an.

„Das wäre doch schon mal ein Anfang, wenn der Stadtrat und die Stadträtin, der Bürgermeister, die Bürgermeisterin, der Landrat und die Landrätin, die Mitglieder in den einzelnen Parlamenten und Regierungen von ihren Wählern danach bewertet würden, was sie für Menschen sind und wie ihre Persönlichkeit, ihre menschlichen Qualitäten ausgebildet sind – und nicht, wie sie sich durchsetzen, wie sie Reden schwingen können, wie sie Machtspiele können. Ich jedenfalls möchte Verantwortung für mich nur an jemanden delegieren, dem ich zutraue, dass er oder sie meine Situation verstehen und nach empfinden kann – und das auch will – und der dann eine angemessene Reaktion sucht und findet. Dabei kann er oder sie sich dann noch vertun, aber er hat wenigstens auf die richtige Weise gesucht.“

„In den letzten Wochen höre ich immer wieder Variationen von: es ist wichtig zu sagen, was ist! Was mag daran wohl wichtig sein?“, fragte Harry.

Trixi schmunzelte: „Das ist doch ganz einfach; wenn du nicht sagst, wie du was erlebst, was dir wichtig ist oder was du richtig findest, kann deine Umgebung nicht adäquat auf dich reagieren und mit dir umgehen.“

„Klar – und dann kommen die Experten, die Politiker, ein Arbeitskollege oder was weiß ich wer und erzählen, wie mein Leben ist, was mir wichtig ist und was nicht und was ich brauche und richtig finde und was nicht und was ich tun muss!“, meinte Harry. „Manchmal denke ich, dass viele von denen wirklich keine Ahnung haben, wie mein Leben eigentlich ist.“

„Verstehe, was du meinst,“ erwiderte Trixi. „Aber darum geht es ja auch nicht. Es geht doch darum, dass jeder seine Interessen durchsetzen möchte und dafür braucht es dann die Begründungen.“

„Du meinst, dass derjenige, der sagt wie was ist auch bestimmt, was dann das adäquate Verhalten ist und wie das aussieht?“ Harry schaute Trixi fragend an.

„Genau!“ erwiderte Trixi. „Und deswegen ist es so wichtig, dass jeder von uns seiner Umgebung sagt, was mit ihm ist, wie es ihm geht und wie er die Situationen im seinem Leben erlebt. So übernimmt jeder selber die Beschreibung und bleibt so kompetent für sich und was für ihn richtig ist.“

Harry nickte: „Das ist der erste Schritt, auf sich zu achten!“

„Kennst du das auch, dass du ein Ziel oder eine Aufgabe hast und du machst und tust und es klappt einfach nicht?“, fragte Trixi.

„Ja, kenne ich!“, antwortete Harry. „Manches Mal bin ich mir dabei auch schon ganz schön blöd vorgekommen.“

„Woran lag es denn?“ Trixi war neugierig.

„Ich habe über so einen Mechanismus gelesen,“ berichtete Harry. „Danach gibt es viele Leute, die auf eine bestimmte Art und Weise versuchen, ein Ziel zu erreichen oder eine Aufgabe zu erledigen. Und die Art und Weise taugt einfach nicht dafür. Für ein anderes Ziel und eine andere Aufgabe wäre sie richtig, aber eben nicht für die, die jetzt anstehen. Und anstatt, dass sie dann die Art und Weise ändern, in der sie sich bemühen, bleiben sie bei genau der Art und Weise und machen alles genau so, nur noch intensiver und bemühter.“

„Und bei dir war das so?“, Trixi wollte es wissen.

„Genau! Als ich merkte, das wird so nichts, habe ich keinen Schritt zurück getan, um zu gucken, woran es liegen könnte, dass meine Aktionen nicht das gewünschte Ergebnis bringen,“ berichte-te Harry. „Stattdessen habe ich mit noch mehr Engagement und Intensität – und dann irgendwann auch mit Ärger und Wut – immer das Gleiche gemacht. Wie ein Fanatiker. Im Nachhinein bin ich mir ziemlich blöde vorgekommen!“

„Verstehe ich,“ meinte Trixi. „Die Art und Weise muss zur Aufgabe und zum Ziel passen, sonst wird das nichts!“